Die Notwendigkeit der Einfalt (Fritz Binde)

Wir müssen uns üben, in unverletzbarer Stille zu wohnen. Der Rede­fluss unserer Gedanken darf nicht mehr das Rad des Geistes drehen.

Komm, meine Seele, wir wollen uns zur heiligen Einfalt wenden! Die Vielfältigkeit der Dinge, Geschöpfe und Gedanken hat unsere Sinne und unseren Geist lange genug beunruhigt und betrogen – wir können nicht länger von ihnen leben. Wir haben die Notwendigkeit der heiligen Einfalt eingesehen. Die Vielheit der Dinge hat uns immer mehr beschwert und arm gelassen. Die Geschöpfe haben uns nur gestört und gequält. Die Menge der Gedanken hat uns nur gehetzt und verwirrt. Ach, wie lange schon haben wir es gefühlt, dass uns alles nichts hilft, was uns täglich und leider auch nächtlich von außen und innen umtreibt. Immer deutlicher und weher erkannten wir alles als Hindernis, was uns nicht zu dem notwendigen Einen gelangen ließ, in dem allein wir das Ewige und Göttliche finden können.

Einst füllten sich unsere Sinne gerne mit den Bildern dieser sichtbaren Welt, deren bunte Viel­fältigkeit uns reich machen sollte. Einst suchte sich unser Geist an den Reden und Äußerungen der Ge­schöpfe zu laben. Einst wollten wir unser Leben vom Honig­seim unserer eigenen Gedanken speisen. Es war ein ehrliches, natürliches Bemühen, wie es alle Menschen haben – wir wollen es nicht schmähen. Es war die Beweglichkeit unserer angeborenen Natur, die da ihre vielfältigen Geschäfte besorgte. Es war die törichte Einfalt des Fleisches, die nur dem Einen diente, nämlich dem anspruchsvollen, vielbegehrlichen Ich. Sie konnte nicht anders. Wie auch ihr Begehren wechseln mochte, es lief alles auf das irdische menschliche Vorankommen hinaus. Nun aber ist uns der ganze Umtrieb in natürlichen Geschäften beinahe unnatürlich geworden. Was könnten uns die Sinne noch erjagen, was die Geschöpfe uns noch einbringen, was die Ver­nunft­schlüsse noch erringen? Wir wissen, was in der Welt, in den Menschen und in uns selber ist. Unsere Bedürftigkeit ist eine andere geworden. Wir wollen uns ins übernatürliche Leben einleben. Wir wollen uns zur Einfalt des Geistes hinfinden. Die Notwendigkeit, uns dem Natürlichen und Ge­schöpflichen zu entwöhnen, ist da. Die Sinne sollen nicht mehr unser Sinnen bewegen, die Ge­schöpfe nicht mehr unser Handeln bestimmen, die eigenen Gedanken nicht mehr unser Erkennen bannen. Wir müssen aus dem verzehrenden Vieler­lei zum einträglichen Einen hingelangen. Das Wech­sel­spiel irdischer Bilder darf uns nicht mehr blenden. Wir müssen danach trachten, angesichts des Unsichtbaren zu leben und im Unwandelbaren wandeln zu lernen. Das Geräusch der Geschöpfe darf uns nicht mehr beunruhigen. Wir müssen uns üben, in unverletzbarer Stille zu wohnen. Der Rede­fluss unserer Gedanken darf nicht mehr das Rad des Geistes drehen. Wir müssen auf die Tropfen und heiligen Schauer harren, die Gott auf uns fallen lässt. Dazu bedürfen wir des Notwendigsten vom Himmel her: der Einfalt! Nichts fehlt uns so sehr wie sie.


Einfalt, griech. ἁπλότης, bedeutet: eine reine unverfälschte Motivation, unvermischte Aufrichtigkeit, bei Kleidung: ohne Falten, also makellos

wer ermahnt, [diene] in der Ermahnung; wer gibt, gebe in Einfalt; wer vorsteht, tue es mit Eifer; wer Barmherzigkeit übt, mit Freudigkeit! Rö 12,8

Denn dies ist unser Ruhm: das Zeugnis unseres Gewissens, daß wir in Einfalt und göttlicher Lauterkeit, nicht in fleischlicher Weisheit, sondern in göttlicher Gnade gewandelt sind in der Welt, besonders aber bei euch. 2Kor 1,12

Ich fürchte aber, es könnte womöglich, so wie die Schlange Eva verführte mit ihrer List, auch eure Gesinnung verdorben [und abgewandt] werden von der Einfalt gegenüber Christus. 2Kor 11,3

Ihr Knechte, gehorcht euren leiblichen Herren mit Furcht und Zittern, in Einfalt eures Herzens, als dem Christus; Eph 6,5

Ihr Knechte, gehorcht euren leiblichen Herren in allen Dingen; nicht mit Augendienerei, um den Menschen zu gefallen, sondern in Einfalt des Herzens, als solche, die Gott fürchten. Kol 3,22